Text: Daniel Binanzer

Fotos: Daniel Binanzer

Erinnern in Krisenzeiten

Bewegende Gedenkveranstaltung in Krisenzeiten / profunder Vortrag

Am 23. Januar 1945 ermordeten die Nationalsozialisten den Namensgeber unserer Schule, Eugen Bolz, weil er die Widerstandsgruppe um Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg unterstützt hatte. Anlässlich dieses Datums gestalteten Schülerinnen und Schüler unserer Schule eine bewegende Gedenkveranstaltung in der gut besuchten Zehntscheuer. Der Historiker Ewald Frie von der Universität Tübingen hielt dazu einen Vortrag über historisches Gedenken angesichts von Krisen.

In einem kurzen Theaterstück verdeutlichte der Basiskurs Geschichte, dass Diskriminierung und Unterdrückung von Individuen oder ganzen Gruppen von Menschen immer noch allgegenwärtig sind. Manchmal tragen wir sogar zu dieser Unterdrückung bei – aktiv oder passiv, z. B. durch den Kauf von unter fragwürdigen Bedingungen hergestellter und daher preiswerter Kleidung. Dazu gibt es offen zur Schau getragenen Menschenhass – in der Aufführung eindrücklich versinnbildlicht durch fremdenfeindliche Parolen, die von vermummten Gestalten auf ein Riesenbanner gesprüht wurden. Als Kontrapunkt lasen Schülerinnen die zentralen Grundrechte unserer Verfassung vor. Die Frage wurde aufgeworfen: Wegschauen oder Zivilcourage zeigen?

Diesen Mut zu handeln hatte Eugen Bolz vor 80 Jahren im Angesicht des Nationalsozialismus. Der Geschichte-Leistungskurs zeigte ein selbst produziertes Video zu Eugen Bolz‘ Biografie und der Frage, wie an ihn heutzutage noch erinnert wird und inwiefern er ein Vorbild sein kann. Der Film betonte, dass seine demokratisch und christlich geprägten Werte sowie seine Bereitschaft, Widerstand gegen die Nazi-Barbarei zu leisten und dafür letztlich mit dem Leben zu bezahlen, vorbildhaft sind.

Der Historiker Ewald Frie erläuterte in seinem Vortrag, wie sich in Krisenzeiten die Erinnerung an die Geschichte verändert. Unsicherheit führe zur Hinterfragung von Definitionen, wer wir sind und wie wir dazu geworden sind. So stelle sich angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine sowie der Hamas auf Israel die Frage nach der Haltung Deutschlands, das sich vor allem als Friedensmacht verstanden und sich mit den Opfern solidarisiert habe, dabei aber nur zögerlich selbst aktiv geworden sei.

Mit mehreren Beispielen belegte Frie, wie Geschichte in Krisensituationen von Politikerinnen und Politikern benutzt wird zur Erzeugung eines „Wir-Gefühls“, zur Legitimierung von Handlungen und als Mutmacher für die Zukunft. So habe Kanzlerin Merkel während der Corona-Krise darauf verwiesen, dass es keine ähnliche Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe. Und während der Finanzkrise 2008 habe sie sich auf den Mauerfall 20 Jahre zuvor bezogen, der gezeigt habe, was man alles schaffen könne, wenn man zusammenstehe.

Frie betonte, dass das Erinnerte situationsbezogen aktualisiert und auf die gegenwärtige Situation angepasst werde. So sei momentan ein gesteigertes Interesse der Geschichtswissenschaft an der Endphase der Weimarer Republik festzustellen – nicht verwunderlich angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien in der aktuellen Krise.

Schließlich warf Frie die Frage auf, inwiefern sich unser Geschichtsbild verändere angesichts der Zuwanderung vieler Menschen, die ihre eigenen historischen Erfahrungen mit einbrächten und damit die Verengung unseres historischen Diskurses auf die Lehren aus Nazi-Diktatur und Holocaust nicht mittrügen. „Entsteht so möglicherweise eine „neue deutsche Geschichte“ – ein „Schatz“, der noch größer wird, wenn wir andere Perspektiven einbringen?“

Fazit: Ein anregender und spannender Abend in aufgewühlten Zeiten.

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Unser herzlicher Dank gilt dem Referenten Prof. Ewald Frie für seinen profunden Vortrag.

Wir danken dem Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg sowie der Volkshochschule Rottenburg am Neckar für die Kooperation.

Vielen Dank an Michael Pingler für die Organisation der Veranstaltung.

Herzlichen Dank an Daniel Binanzer, Andreas Braun und ihre Geschichte-Kurse für die Gestaltung des Abends.