Deutsch-Polnischer Schüleraustausch, 14. – 26. Mai 2017

Friedrichshafen: Ein Stadtzentrum direkt am Bodensee, eine lange Uferpromenade, angenehmes sonniges Wetter, eine Jugendherberge mit großen Spiel- und Sportflächen – das war zwei Tage lang die Kulisse für unseren diesjährigen deutsch-polnischen Schüleraustausch.

Gruppenbild im Pfahlbautenmuseum Unteruhldingen am Bodensee

Deutsch-polnisches Gruppenselfie aus einem „Digitalen Tagebuch“

Zunächst mal begegneten die polnischen SchülerInnen ihren Gastfamilien.
Am nächsten Tag wurden sie mit dem EBG vertraut gemacht, besuchten einige Unterrichtsstunden und erkundeten zusammen mit den Austauschpartnern Rottenburg.
Aber sie sollten auch die Möglichkeit haben, sich einander neu zu begegnen. In gemischten Kleingruppen erstellten sie mit Hilfe von Tablet-PCs, sowie Papier und Stiften kurze Multimediapräsentationen über sich selbst und über ihre originellen Zukunftsvisionen. Zwei der Tablets kamen zur Erstellung eines digitalen Tagebuchs zum Einsatz, wobei sie jeden Tag an eine andere Schülergruppe weitergereicht wurden.

Es standen folgende Begegnungen auf dem Programm:

Tag 3: Begegnung mit der Geschichte in der KZ-Gedenkstelle Hailfingen-Tailfingen. Hier hatte ein Konzentrationslager gestanden, in das vorwiegend polnische Juden deportiert wurden. Sie sollten dort als Zwangsarbeiter einen Flughafen bauen. Das Ganze wurde von der Schülergruppe in einem langen Spaziergang erlaufen, dieser endete in einem Dokumentationszentrum mit Bild- und Texttafeln, sowie Hördokumenten.

Auf dem Weg nach Hailfingen

Tag 4: Begegnung mit einem Backwerk, durch das „dreimal die Sonne scheint“ inklusive Einweihung in die Geheimnisse der Herstellung desselben im Brezelbackworkshop der Bäckerei Gehr in Tübingen.

Tag 5: Begegnung mit der Landeshauptstadt Stuttgart oder vielmehr mit gewissen Konsumtempeln dort, sowie die Begegnung mit dem „Papa-Mobil“ von Johannes Paul II (einem der bedeutendsten Polen überhaupt) und natürlich auch anderen „geilen Benzern“ (Schülerzitat) im Mercedes-Benz-Museum.

Begegnung mit den eigenen körperlichen Grenzen (Tag 6)
„Warum tut man sich das nur an??!!“ – ein jämmerlicher Klageruf hallte durch die Baumkronen. Da hingen sie, fünf, sechs, acht Meter über dem Boden: arme verzweifelte Schüler im Hochseilkletterpark Lichtenstein. Tatsächlich gab es da ein Problem: es regnete! Und irgendwann musste man feststellen: es regnete ziemlich! Eine Gruppe von Unerschütterlichen ließ sich nicht davon abhalten, bis zum Schluss durchzuklettern. Die Mehrheit aber stellte sich nach dem Durchklettern eines Parcours unter Sonnenschirme und wärmte sich an einer offenen Feuerstelle oder sie stellten sich in den Eingangsbereich der Gaststätte (innen leider: „geschlossene Gesellschaft“) oder in einen überdachten Gang zu den Toiletten, der aber schon weitgehend von Schülern eines deutsch-ungarischen Schüleraustauschs okkupiert war. Wenigstens konnte der Bus einige Zeit früher zum Abholen angefordert werden. Noch nie sah man Schüler so zu einem Bus rennen… (Bevor Protest ertönt: Nein, natürlich hing niemand verzweifelt zwischen den Bäumen, aber unter den deutschen Jungs gab es die eine oder andere Drama-Queen…)

Dann war erst mal Wochenende und die polnischen SchülerInnen verbrachten die Zeit zusammen mit ihren Gastfamilien. Am Montag ging es dann mit dem Zug nach Friedrichshafen.

Begegnung mit dem Fantastischen

Die Schleusen schlossen sich – wir befanden uns unter Wasser. Ein Fischschwarm teilte sich und fand hinter uns wieder zusammen. Große Pfähle wurden ringsherum in den Seeboden gerammt. Das Pfahlbautenmuseum Unteruhldingen verbindet im jüngst erstellten „Archäorama“ Frühgeschichte mit moderner Multimediatechnik. Besonders effektvoll: wenn sich die Wand öffnet und den Blick auf die fantasy-mäßig über dem See schwebenden Stege und Hütten freigibt – jetzt aber real und begehbar. Anschaulich und anhand vieler Gegenstände begegnet uns das Alltagsleben der Menschen vor rund 5000 Jahren.

Begegnungen zwischen Mensch und Tier
Der Affe mit dem „verzogenen Lidstrich“ (Schülerzitat) hatte die Ruhe weg, lässig pickte er die Popcornstückchen aus der hingehaltenen Hand. „Wir werden auf unsere nächsten Verwandten treffen“ freute sich eine Schülerin vor dem Besuch des Affenbergs Salem. Als sich dort ein Schüler zum Affen machte, indem er versuchte, einen solchen zu imitieren, wollte man das auch sofort glauben. Eine Begegnung, die fasziniert: denn die eigentlich wilden Tiere haben sich sehr an den Menschen gewöhnt. Aber es ist auch eine mahnende Begegnung, da die Berberaffen vom Aussterben bedroht sind.

Begegnung mit dem Unfassbaren 
„Ich habe noch nie von einer so schlimmen Erfahrung gehört und Sie erzählen uns das so freundlich und ruhig, wie ist das möglich?“, sagte eine polnische Schülerin. Wir begegneten einer jungen Frau, die mit ihrem Mann und ihrem damals 1 1/2-jährigen Sohn aus Syrien flüchtete und dabei lebensbedrohliche Situationen erlebt hatte.

Spricht man polnische Menschen auf das Stichwort „Flüchtlinge“ an, wird klar, dass da vor allem zwei Bilder in den Köpfen gespeichert sind: eine widerwärtig agierende Meute in einer Silvesternacht und Fahndungsbilder von Attentätern. Aus deutscher Sicht sollten wir verstehen, dass sich solche Ängste (und Vorurteile) nicht per EU-Beschluss aus der Welt schaffen lassen.

Unterrichtsmaterial für das Thema „Flüchtlinge“ war dank des Thementags schnell parat. In einem Film kamen Flüchtlingskinder aus Rottenburg zu Wort. Zwei erzählten von ihrer völlig zerstörten Schule, eine folgende Szene zeigt die EBG-Sporthalle, in der sie jetzt Fußball spielen – das Thema zeigt sich ganz nah. Flüchtlinge, sagt uns der Film, sind keine Zahlen, sie sind kein politisches Thema oder ein globales Problem, sondern Flüchtlinge sind Menschen.

Den Kontakt zu der jungen Frau aus Syrien stellte Frau Kurfeß-Reuhs her. Die Frau, die erst seit wenigen Monaten deutsch lernt, fand einfache eindringliche Worte. Warum gehen Menschen auf ein Boot, wenn sie wissen, dass das lebensgefährlich ist? –  „In Syrien fallen Bomben, Menschen sterben, auch auf dem Meer sterben Menschen. In Syrien haben wir keine Hoffnung mehr, auf dem Boot haben wir eine Chance“.

Begegnungen auf der Weilerburg
Dort fand nämlich das gemeinsame Abschiedsgrillen statt – in schönster sonnigster Feiertagsatmosphäre. Befürchtungen, dass man durch den Grilltrubel an Christi-Himmelfahrt / Vatertag sein eigenes Würstchen auf der einzigen Grillstelle nicht mehr finden könnte, stellten sich als unbegründet heraus. „Die Grillstelle ist groß und die Leute arrangieren sich“ beruhigte mich ein Vater im Vorfeld. Die Gruppe der Austauschschüler verteilte sich, mal mit, mal ohne Eltern, mit oder ohne Geschwister, in großen oder kleineren Gruppen auf den Bänken der Anlage und zwischendurch fand sich auch mal ein Großteil der Gruppe um die Feuerstelle zusammen.

In Gesprächen mit den Schülern und einigen Eltern kam heraus, wie vielfältig die Begegnungen in den Gastfamilien waren. Einige polnische SchülerInnen zeigten sich sehr kommunikativ, viele (wie sonst auch) hatten aber auch Schwierigkeiten oder Hemmungen, sich zu unterhalten, ein bisschen Alltagsknatsch gab es auch mal (z.B. über Badezimmerbenutzungszeitspannen), aber ansonsten waren die Begegnungen harmonisch, herzlich, zu Tränen rührend, saukomisch, sportlich-aktiv, feierlich (da einige Konfirmationen in den Gastfamilien stattfanden), international (weil Rottenburg halt nun mal so ist) und schlicht und einfach voll von schönen Momenten, die übrig bleiben werden.

Abschiedsgrillen auf der Weilerburg

Der Austausch wurde auf polnischer Seite begleitet von Frau Masiakowska und Hern Budaj unter der Verantwortung der Schulleiterin Frau Norkowska-Nawrot.
Aktiv unterstützt wurde das Projekt durch Frau Knopp, Frau Kurfeß-Reuhs, Frau Bilek und Herrn Lüdtke aus dem EBG-Kollegium. Herzlichen Dank dafür!

Gefördert vom Deutsch-polnischen Jugendwerk 

Trotz drastischer Veränderungen der Schul- und Unterrichtssituation auf der polnischen Seite haben wir vor, diese seit 17 Jahren bestehende Schulpartnerschaft aufrecht zu erhalten. Weitere gemeinsame Projekte sind in Planung.

Martin Sell, Juni 2017