Demokratie muss im Kopf und im Herzen verankert sein

 

Bundesverfassungsrichter Peter Müller sprach bei der Gedenkveranstaltung des Eugen-Bolz-Gymnasiums in der Zehntscheuer

Jedes Jahr am 23. Januar gedenkt das Eugen-Bolz-Gymnasium seines Namensgebers Eugen Bolz und bietet der Schulgemeinschaft wie auch interessierten Rottenburgern eine interessante Abendveranstaltung. In diesem Jahr hatte unsere Schule das große Glück, den ehemaligen Ministerpräsidenten des Saarlands und heutigen Richter des Bundesverfassungsgerichts, Peter Müller, für einen Vortrag gewinnen zu können.

Der Oberstufenkurs „Theater und Literatur“ unter der Leitung von Anja Marckmann eröffnete die Veranstaltung mit einer ausdrucksstarken Darbietung zur Unantastbarkeit der Menschenwürde.

Schulleiter Dr. Andreas Greis und Oberbürgermeister Stephan Neher betonten in ihren Grußworten die Relevanz dieser jährlichen Gedenkveranstaltung und führten zum Thema des Vortrags hin.

Dem folgte der äußerst tiefgründige Vortrag von Peter Müller zum Thema „Wehrhafte Demokratie – staatlicher Auftrag oder gesellschaftliche Verpflichtung?“, an dessen Ende die rund 150 Besucherinnen und Besucher Fragen stellen durften.

Bereits die Väter und Mütter des Grundgesetzes, so der Referent, hätten sich den Kopf darüber zerbrochen, warum die Demokratie in der Weimarer Republik den Angriffen von Rechts und Links nicht gewachsen gewesen sei und welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien. Eine solche sei gewesen, an den Anfang des Grundgesetzes die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu setzen.

Müller erklärte zunächst, welche Aufgaben das Bundesverfassungsgericht, das Gericht mit den „weitreichendsten Befugnissen“ im Konzept der „wehrhaften Demokratie“ hat. In letzter Konsequenz, so Müller, könne es die Verwirkung der Grundrechte von Einzelpersonen feststellen sowie Vereins- und Parteiverbote aussprechen. Dabei handele es ich um ein scharfes, aber auch zweischneidiges Instrument, da man in einem derartigen Fall mit dem Entzug von Grundrechten die Grundrechte schütze. Seit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts sei es lediglich zu zwei Parteiverboten und knapp 40 Vereinsverboten gekommen.

Jedoch, betonte Peter Müller, sei dies kein Grund für die Bürgerinnen und Bürger, sich auszuruhen, denn die „Aushöhlung der Demokratie komm[e] auf leisen Sohlen daher“. „Wenn die Demokratie nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert [sei, könne] man an juristischen Strukturen aufbauen, was man [wolle], es [werde] nichts nützen.“

Der Referent warnte vor jenen Populisten, die die Demokratie von den „Fesseln des Rechtstaats“ befreit sehen wollen. Demokratie und Rechtsstaat würden zusammengehören. Das Eine sei nicht ohne das Andere zu haben.

Die Frage, was der Einzelne hier tun könne, beantwortete Peter Müller mit den Worten: „Wehrhaft ist die Demokratie doch nur dann, wenn sich alle in die Pflicht nehmen lassen und sie verteidigen.“ Rein rechtlich könne der Einzelne wenig bewegen. Es bleibe aber die Möglichkeit, sich klar zu positionieren und andere für seine Haltung zu gewinnen. Dies sei unverzichtbar. Demokratie brauche Demokraten.

Das interessierte Publikum wollte wissen, ob Bundesverfassungsrichter häufiger derartige Vorträge halten. Dies bejahte Müller und lieferte gleich die Begründung mit: „Das Eis, auf dem sich der Rechtsstaat und die Demokratie“ bewege, sei bereits recht dünn geworden. Deshalb müsse man Aufklärungsarbeit leisten.

Zu der Frage, ob man gegen die Bedrohungen, die vom Internet ausgehen würden, etwas unternehmen müsse, bezog Müller klar Position: Er fordert ein digitales Vermummungsverbot für alle.

Birgit Kipfer vom Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“ sprach am Ende das aus, was viele im Saal dachten: „Es wird schwierig werden, im kommenden Jahr einen Vortrag auf ebensolcher Höhe zu bieten.“

Michael Pingler, der für das Eugen-Bolz-Gymnasium die Gedenkveranstaltung organisiert hatte, dankte dem Referenten und übereichte ihm ein Präsent.

Musikalisch umrahmt wurde der Abend in hervorragender Weise von Alicia Reinke (Querflöte).

Zur Information:

Das Bundesverfassungsgericht (BVG), dem der ehemalige Ministerpräsident des Saarlands, Peter Müller, seit 2011 angehört, ist das höchste Gericht in Deutschland und hat seinen Sitz in Karlsruhe. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden einmalig für eine Amtszeit von zwölf Jahren gewählt.

Das im Jahr 1951 gegründete Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, darauf zu achten, was der Gesetzgeber macht.

Wenn jemand der Ansicht ist, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, kann er Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Das BVG prüft diese und entscheidet, ob gehandelt werden muss, das Gesetz etwa modifiziert oder gar abgeschafft werden muss. Das BVG beschützt also die Verfassung und wacht darüber, dass Gesetze im Einklang mit dem Grundgesetz stehen.

Das Karlsruher Gericht hat zum Beispiel auch die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die nicht verfassungskonform sind.